Dom wasn’t built in a day – die Entstehungsgeschichte des Tastmodells Kölner Dom

 von Esther Lakebrink

Die Abbildung zeigt die zusammengelegte Silikonform des Kirchenschiffs

 (Frühjahr 2024)

 

Dom wasn’t built in a day – die Entstehungsgeschichte des Tastmodelles Kölner Dom

 

 

 

Dies unglückselige Gebäude ist wegen der Bauarbeiten mit Baracken und Gerüsten verstellt, und das natürlich für alle Ewigkeit, da es ja doch nie fertig werden wird.“ (Eugène Delacroix, 1850) aus: Köln. Die Stadt und ihre Bürger, Johann Jakob Hässlin (Hrsg.), Stuttgart 1964, S.114.

 

Eugène Delacroix hat sich glücklicherweise geirrt – 1880 wurde der Dom offiziell fertiggestellt, und er war und ist für unzählige Menschen, ob Kölner*in oder nicht, ein Stück Heimat, ein Wahrzeichen, ein Ankerpunkt. Er zählt zu den höchsten Sakralgebäuden der Welt und wird von jährlich 6 Millionen Menschen besichtigt. Aber genug der Zahlen zum unangefochten großartigen Vorbild gotischer Baukunst. Dieser Text befasst sich mit der baugeschichtlichen Darstellung von der ersten Idee bis zur Fertigstellung des Tastmodelles Kölner Dom aus der Sicht eines Menschen, der diesen Prozess begleiten durfte. Es gab gute und schlechte Zeiten, aber vor allem anderen den unerschütterlichen Glauben daran, dass es gelingen würde. Ohne Pathos lässt sich sagen, dass das Schaffen des Tastmodelles Kölner Dom als Krönung eines Arbeitslebens zu betrachten ist.

 

 

 

Der Verein Domsitzung e.V. hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Hohe Domkirche zu Köln sowohl ideell als auch finanziell zu unterstützen. Um den Kölner Dom auch Menschen mit Sehbehinderung bzw. völligem Sehverlust in Gänze begreifbar zu machen, sammelte der Domsitzung e.V. seit 2018 Spenden zur Finanzierung eines Tastmodelles Kölner Dom.

 

Dass hierfür ein Kölner Künstler beauftragt wurde, war mehr oder weniger einem Zufall zuzuschreiben. Und obschon Ingo Telkmann bei Auftragserteilung durch den Domsitzung e.V. und Peter Füssenich bereits vierzig Jahre als freischaffender Künstler tätig war, und - es sei in aller Bescheidenheit erwähnt - in diesem Arbeitsleben bereits einige spannende Arbeiten durchgeführt hat, handelte es sich bei diesem Projekt um etwas in seiner Besonderheit in jeder Hinsicht nie dagewesenes. Das Vorhaben, den Kölner Dom als Tastmodell für Sehbehinderte und Blinde Menschen zu schaffen, was ohne die Initiative des Domsitzung e.V. unmöglich gewesen wäre, war, darüber waren sich alle Beteiligten von Anfang an im Klaren, ein im höchsten Maße ideelles Projekt.

 

Es ist daher auch wenig verwunderlich, dass Telkmann in den vier Jahren, die es von den Vorplanungen über die einzelnen Arbeitsschritte hin zum Abliefern des fertigen Modelles an die Stifter dauerte, zwar nicht über die Grenzen seiner Fähigkeiten hinaus getrieben wurde, dafür aber durchaus das ein oder andere Mal an den Rand des Wahnsinns. Der Kölner Dom halt.

 

Nicht völlig unerheblich ist die Tatsache, dass es während der Planungs- und Schaffensphase von vier Jahren parallel weitere Herausforderungen aller Art gab. So galt es unter anderem, ein Geschäft zu führen, einen Hundewelpen großzuziehen, drei Ehrenämter erfolgreich weiter auszuüben und als Soloselbständiger eine Pandemie zu überstehen. Eine Pandemie, die aufgrund der Auswirkungen in alle Lebensbereiche einer Gesellschaft hinein nicht nur das Projekt Tastmodell in Gefahr gebracht hat. Anfang März 2023 erkrankte Ingo Telkmann lebensbedrohlich an Covid und hat infolgedessen mehrere Wochen im Krankenhaus verbringen müssen.

 

 

 

Unmittelbar existenzbedrohend für das Tastmodell waren zwischenzeitlich allerdings auch die klimatischen Bedingungen in der Werkstatt während der Sommermonate. Das wichtigste Bearbeitungsinstrument für das Tastmodell Kölner Dom waren die Hände des Künstlers. Ein längeres Manipulieren von Wachs hat, wie man weiß, zur Folge, dass sich das Material erwärmt. Mehr noch bei steigenden Außentemperaturen. Ab einer Raumtemperatur von 24° Celsius in der Werkstatt waren Fialen, Strebewerk und besonders der Vierungsturm im wahrsten Wortsinne am Kipppunkt angelangt. Zwischen die Säulen des Vierungsturmes wurden kurzerhand entsprechend zugeschnittene Styroporblöckchen gesetzt, um die Stabilität zu gewährleisten. Die Anschaffung eines mobilen Klimagerätes, eine siebentägige Überwachung während der heißen Phasen und der fast vollständige Verzicht auf längere Abwesenheiten halfen maßgeblich dabei, das Wachsmodell vor größeren Schäden zu bewahren.

 

Der Kölner Dom als Kommunikationsmodell

Um das Tastmodell Kölner Dom zu gestalten, galt es zuallererst herauszuarbeiten, wie es auf gar keinen Fall erscheinen sollte - und wie es am besten präsentiert werden könnte. Für die künstlerische Umsetzung bedeutete das, dass das fertige Modell barrierefrei zugänglich und sowohl optisch als auch haptisch einladend für den Betrachter sein sollte. In dem Begriff „Betrachter“ sind selbstverständlich eingeschränkt bzw. nicht sehende Personen eingeschlossen, betrachten sie die Welt doch unter anderem mittels Tastsinn. Davon abgesehen schwebte bei der Planung und Erstellung stets die künstlerische Idee des Gestalters gleich einer Vision über jedem Handanlegen an das Tastmodell.

Das fertige Tastmodell sollte eine Synthese sein zwischen diesen beiden Aspekten – der Kölner Dom, im Maßstab reduziert auf ein barrierefrei zugängliches, einladendes Objekt einerseits und, andererseits dem Anspruch sowohl des Künstlers Ingo Telkmann, als auch Peter Füssenichs gerecht zu werden. Dieser war in seiner Position als Dombaumeister natürlich der wichtigste Ansprechpartner während des gesamten Schaffensprozesses.

 

Loslassen und Herantasten oder: wie reduziert man den Kölner Dom?

2020

Im schönen Monat Februar, kurz vor Beginn der Coronapandemie, wurde der Goldschmiedemeister und Künstler Ingo Telkmann durch den Vorstand des Domsitzung e.V. mit der unverbindlichen Vorplanung für ein Tastmodell des Kölner Domes beauftragt. Es fanden in der folgenden Zeit unzählige Besichtigungen des Kölner Wahrzeichens statt, denn es galt zunächst, den Dom im Aufbau zu verstehen. In gewisser Weise ein Gewaltakt am eigenen Sehen, da es zwingend notwendig war, die lähmende Ehrfurcht vor dem sich gebirgsartig auftürmenden gotischen Bauwerk abzulegen, ohne dabei den für die Aufgabe nötigen Respekt zu verlieren.

 

Bevor die Planung des eigentlichen Modelles begann, wurde jedoch zunächst festgelegt, wie der Sockel gestaltet werden muss, damit der Betrachter (ob mit oder ohne körperliche Einschränkung) sich ohne Hindernisse dem Tastmodell nähern kann. Außerdem sollte bereits die Basis des Tastmodelles jedem Betrachter die Möglichkeit bieten, das großartige Maßwerk des Kölner Domes zu erkunden. Der Sockel wurde exklusiv von Steinmetzen der Dombauhütte gefertigt: Wolfgang Küppers (Steinmetz und Gestalter des Sockels), Samira Dykstra (damals als Auszubildende, heute Steinmetzgesellin der Dombauhütte) und Stephan Wieczorek (Ausbildungsleiter der Steinmetze). Die vier Seiten des Sockels zieren vier verschiedene Maßwerkformen mit unterschiedlichen Profilierungen, die symbolhaft für die verschiedenen Bauphasen des Kölner Domes stehen. Das Material des Sockels wurde aus Beständen der Dombauhütte bereitgestellt. Die verwendete Basalt Lava zeichnet sich durch ihre gute Verwitterungsbeständigkeit aus und eignet sich somit hervorragend nicht nur für die Sockelbasis des Kölner Domes, sondern auch für das Tastmodell. Der Wunsch des Künstlers, bereits den Sockel als Teil des Kommunikationsmodelles gestalten zu lassen, war somit erfüllt.

 

Zwangsläufig stellte sich während dieser Arbeitsphase außerdem die Frage, wie viele der architektonischen Bestandteile des Kölner Domes man unter Einhaltung der Maßstabstreue reduzieren kann. Inwiefern konnten Elemente des Bauwerkes weggelassen werden, ohne dass daraus am Ende eine der Erhabenheit nicht gerecht werdende Spielzeugversion des Kölner Doms entstehen würde? Um den Kölner Dom reduziert darzustellen, war es zwingend notwendig, im Vorfeld seinen Rhythmus, seine Melodie zu erkennen. Ohne das Begreifen der Gesamtheit der Architektur wäre dies ein Akt der Unmöglichkeit gewesen. Dadurch ergab sich, nach Abschluss der Arbeiten an den Proportionsmodellen aus Ton bzw. Styropor, ein Maßstab von 1:255000.

 

Mittels Skizzen und Vorzeichnungen und dem Anfertigen eines Reliefs aus Pappe begann Telkmann eine Ahnung von der Gesamtwirkung, der Räumlichkeit zu entwickeln. Ein Herantasten von Anfang an. Diese Schritte dienten vor allem auch dem Aspekt des „Loslassens“ der althergebrachten, von Kindheit an verinnerlichten Bilder im Kopfe des Künstlers; als Prozess des Verstehens von Aufbau und Proportionen der gotischen Vorlage. Es folgten Zeichnungen inklusive erdachtem Sockel, der nicht bloß das Tastmodell tragen sollte, sondern eben auch Maßwerkelemente.

 

Im April entstanden erste Proportionsmuster aus Polystyrol, auf die Grundformen reduziert. Zunächst unter Weglassung der Strebepfeiler, wurden nach und nach die Formen von Lang- und Querhaus, des Chorbereiches und der Turmhauben erarbeitet. So konnte der Dom in einer Art Bauklotz-Technik zusammengesetzt werden. Im nächsten Schritt wurden diese Formen in Ton gearbeitet, was maßgeblich zum Form- und Proportionsverständnis beigetragen hat.

 

 

 2021 – Wachs überall

 

In den Monaten Juli und August jenes Jahres erfolgte die Fertigstellung des Styropormodelles mit Wachsummantelung. Um die jeweiligen Teile aus Styropor wurde mit schwarzem Bildhauerwachs in akribischer Handarbeit Schicht für Schicht das Wachs aufgetragen. Nach jedem Handgriff mussten ein Nachmessen und Glätten der Flächen erfolgen, um im späteren Verlauf der Arbeit keine proportionalen Abweichungen zu kreieren. Im Fell des eingangs erwähnten Hundewelpen, der im Sommer 2021 in das Leben des Künstlers tapste, fanden sich in dieser Zeit immer wieder Wachsteilchen. Der prächtigen Entwicklung des Vierbeiners hat dies in keiner Weise geschadet.

 

Im Sommer 2021 wurde Telkmann vom Domsitzung e.V. und Peter Füssenich offiziell mit der Aufgabe betraut, das Tastmodell Kölner Dom zu schaffen. Sowohl der Dombaumeister als auch der Vorstand des stiftenden Vereines waren nach der Sichtung der Vormodelle von Konzept und Herangehensweise des Künstlers überzeugt.

 

Im Oktober 2021 war schließlich die komplette Grundform des Tastmodelles aus Styropor im Wachsmantel gearbeitet. Nun konnte in ebenso akribischer Feinarbeit das Herausarbeiten der Grundpfeiler der Türme, des Westportales und des Ansatzes des Vierungsturms beginnen.

 

 

 

 

Das Jahr, in dem der Dom in den Kühlschrank zog

 

Januar bis März 2022

In der Zeit von Januar bis März 2022 war das Tastmodell in seiner Ausarbeitung so weit fortgeschritten, dass Telkmann mit dem Herausarbeiten der Fensterdetails und anderen architektonischen Elementen beginnen konnte. Hierfür wurden aus Messing und Kupfer Stempel unterschiedlicher Größe und Form handgefertigt, um mit diesen, nach Erhitzen am Spiritusbrenner, die gewünschte Form in das Wachs einzubrennen. Es sind insgesamt mehr als einhundertzwanzig dieser Stempel entstanden, wovon der Kleinste eine Stempelfläche von vier Millimetern aufweist. Auf den Bildern entsteht ein Eindruck davon, mit welcher Vorsicht bei diesem Arbeitsschritt vorgegangen werden musste. Der Kontakt des erhitzten Metalls mit dem Bildhauerwachs musste auf ein Minimum beschränkt, die Form jedoch exakt eingebrannt werden. Für ein Fenster wurden, je nach Größe und Lage, mehr als elf der kleinen Stempel angewendet. Im Frühjahr des Jahres 2022 waren die Chorfenster komplett eingearbeitet. Es galt im Anschluss, den Vierungsturm, die Dächer des Seitenschiffes sowie die Gauben um den Chor zu gestalten.

 

In dieser Zeit begannen außerdem die gestalterischen Vorarbeiten für die prägnanten architektonischen Bauteile des Kölner Doms. Man nehme entsprechendes Werkzeug und dazu Holz, Kleber, Aluminium, Kupfer und noch mehr Wachs – fertig. Auf diese Weise entstanden insgesamt sechsunddreißig solcher Bauteile für insgesamt fünfzig Silikonformen. Für eine der größeren Säulen brauchte es mehr als fünfzig Einzelteile; eine Kreuzblume besteht aus fünfundzwanzig Teilen, die ebenfalls per Hand gesägt wurden. Gekonnt zusammengesetzt ergaben die oben genannten Zutaten die Formen, in die das erhitzte Wachs eingegossen werden konnte. Nichtsdestotrotz war auch während der Arbeit mit dem „Bausatz“ aus Silikonformen ein ständiges freies Formen und händisches Anpassen unerlässlich. War das Wachs zu heiß, der Künstler zu ungeduldig oder die Raumtemperatur der Werkstatt zu hoch, ließen sich die Wachsabdrücke nicht ausformen.

 

Durch die tägliche Auseinandersetzung mit den architektonischen Feinheiten des gotischen Vorbilds wuchs der ohnehin schon bestehende Respekt vor den Fähigkeiten der mittelalterlichen Bauherren des Kölner Domes. Der gesamte Bauprozess des Tastmodelles war ein tägliches Dazulernen.

 

April bis Juni 2022

 

Die Monate April bis Juni 2022 waren vor allem den Arbeiten am Chor gewidmet. Bei der Positionierung der Dachgiebel, der Pfeiler und des Strebewerkes am Chor machte sich die immer wieder erfolgte Berechnung und Korrektur des Grundmodelles bezahlt. Vierungsturm und Dachgiebel waren jetzt vollständig gearbeitet. Im Mai war das Erstellen der Strebepfeiler abgeschlossen.

 

Jetzt war der richtige Zeitpunkt, das bisher Geschaffene einem ersten „Härtetest“ zu unterziehen. Es existieren zwar für viele Aspekte unserer Gesellschaft Barrierefreiheitsvorschriften, diese sind allerdings nicht verbindlich. Logischerweise galt es also, jemanden mit einer entsprechenden Funktionseinschränkung zu befragen. Noch wäre genug Zeit gewesen, entsprechende Änderungen vorzunehmen. Hierzu organisierte Peter Füssenich den Besuch eines Vertreters der Behindertenseelsorge des Erzbistums Köln in Begleitung von Herrn Florsdorf, der seit frühester Kindheit blind ist. Ein bewegender, wichtiger Moment für alle Beteiligten, als der eben Genannte nach Betasten des Modelles anmerkte: „So sieht der aus!“ Herr Florsdorf bestätigte die Tastqualität des Modelles und gab außerdem wichtige Hinweise zur Positionierung der Schriftfelder, die an den vier Seiten der Grundplatte vorgesehen waren. Die Tastfelder sind angeschrägt angebracht um zu verhindern, dass sich Regenwasser o.ä. darauf sammelt. Außerdem wäre, so Florsdorf, durch die schräge Positionierung ein ergonomisches Abtasten gewährleistet.

 

Nach Abschluss der Hauptarbeit am Chor begann die Arbeit am Dachfirstkamm. Ein erster Versuch, diesen aus Draht zu formen, entsprach im Ergebnis nicht der Vorstellung des Künstlers; außerdem wäre die markante Struktur im Verlauf der Abformung weder im Silikon- noch im Wachsmodell zur Geltung gekommen. Also wurde ein Teilabschnitt der charakteristischen Firstkamm-Struktur in Kupfer gesägt und, wie in dem oben beschrieben Verfahren, in Silikon geformt und Stück für Stück in Wachs gegossen.

 

Juli bis September 2022

 

Im Juli 2022 betrug die Durchschnittstemperatur in Köln 38° Celsius. Just in diesen Monat fielen die Arbeiten an den Türmen, dem wohl markantesten Bauteil des Kölner Domes, inklusive der Ausarbeitung der Kreuzblumen. Nach dem Modellieren der konisch geformten, achteckigen Turmhelme stellte sich das Anlegen des Maßwerkes nicht minder aufwendig dar. Für die Bearbeitung der Turmhelme waren für deren Oberflächengestaltung jeweils siebenundzwanzig Stempel erforderlich.

 

Neben dem mobilen Klimagerät wurde der Kühlschrank der Werkstatt zum Lebensretter des Wachsmodelles, als es Ende Juli schließlich zu heiß wurde, um wirklich daran arbeiten zu können. Kurzerhand wurde das bisher Geschaffene wieder zurückgebaut und in Einzelteilen im Kühlschrank aufbewahrt. Zur Freude aller Eisverkäufer war auch der August mit durchschnittlich 36° zwar geschäftsfördernd, verzögerte jedoch die Arbeit am Tastmodell.

 

Die Wiederaufnahme der Arbeiten konnte schließlich im September 2022 starten. Gut gekühlt und bestens erhalten wurden die Einzelteile wieder dem Grundmodell angefügt. Die Domtürme mit Turmhauben entstanden unter klimatisch angenehmeren Bedingungen. Es dauerte bis in den November hinein, bis das Wachsmodell der gotischen Kathedrale Dank ihrer wichtigsten Wahrzeichen, inklusive der Krappen, endgültig als Kölner Dom erkennbar war. Auch für das eines Tages an der Werkstatt vorbeigehende Vorschulkind: „Guck mal Papa, der Dom!“.

 

2023 – am Ende wird (fast) alles gut

 

Januar bis März 2023

Die weitere Beschäftigung mit dem Projekt wurde zum Jahresbeginn durch das, erstmalig seit Beginn der Pandemie wieder mögliche, karnevalistische Treiben in Köln und anderswo teilweise unterbrochen. Nichtsdestotrotz fanden im Januar und Februar Arbeiten am Chor und der Westfassade statt. Schwerwiegender waren die Folgen des gesundheitlichen Zustandes des Künstlers ab Anfang März, woraufhin die Beschäftigung am und mit dem Tastmodell zunächst bis auf weiteres eingestellt werden musste.

 

 

 

Mai bis August 2023

 

Im Mai 2023 konnte Telkmann, mittlerweile hinreichend genesen, die Arbeiten am Domprojekt wieder aufnehmen.

Da über den Sommer die Hitze noch weiter angestiegen und ein Auseinanderbauen zum jetzigen Zeitpunkt nicht mehr möglich war, wurde das Wachsmodell kurzerhand mit einem selbst gebauten Hitzeschutz aus Pappe und Aluminiumfolie geschützt. Die mobile Klimaanlage, nunmehr an sieben Tagen die Woche im Einsatz, trug ebenfalls wieder dazu bei, das Kunstwerk zu retten.

Im Juni 2023 erfolgten Arbeiten an Fensterdetails, außerdem konnten das Nord- und Südportal fertiggestellt werden. Der Monat Juli war fast ausschließlich der Umfeldgestaltung gewidmet. Abziehen der Grundplatte, Gestalten der Dombauhütte und der Sakristei. Diese Elemente wurden aus nachvollziehbaren Gründen kompakt und in absoluter Grundform aus Wachs gearbeitet und direkt an das Tastmodell angesetzt.

Je weiter die Arbeit am Tastmodell voran schritt, desto mehr wuchs der Wunsch, das Werk zu konservieren. Zumal von Anfang an klar war, dass das Modell in dieser Form keinen Bestand haben würde, wenn die weitere Bearbeitung in der Gießerei erst einmal begonnen hätte. Zuerst glaubte man noch an die Möglichkeiten moderner Computertechnik, die mittels eines 3D Scans alle Arten von Objekten digital sichern kann. Nach mehreren Vorgesprächen mit einer auf diese Vorhaben spezialisierten Firma stellte sich jedoch heraus, dass die Technik in diesem Falle an ihre Grenzen stoßen würde. Die Komplexität der Form und das Material würden es dem Laser unmöglich machen, mit der gewünschten Exaktheit im Ergebnis zu arbeiten. Blieb nur die Möglichkeit, durch gänzlich analoge Handarbeit eine „Sicherungskopie“ des Wachsmodelles zu erlangen – in Form eines Silikonabdruckverfahrens durch die Kölner Kunstgießerei Martin Schweitzer.

Wie bereits erwähnt, waren zur Verortung für jeden Betrachter des Tastmodelles an den vier Seiten der Grundplatte Schrift- bzw. Tastfelder vorgesehen. Die von Telkmann gestalteten Vorlagen entstanden im August 2023; die Texte hierfür wurden in Absprache mit der Dombauhütte erstellt. Nach der Bearbeitung des Übersetzungsdienstes des Bayerischen Blinden- und Sehbehinderten e.V. (BBSB) fräste die Kölner Gravieranstalt Berger e. K. die Texte in Metallplatten. Diese wurden anschließend genutzt, um mittels einer Negativform Abdrücke in Kunststoff herzustellen, welche abschließend an das Tastmodell angesetzt wurden.

 

September 2023 – es ist vollbracht. Eigentlich…

Nach letzten Korrekturen und einer Komplettüberarbeitung der Oberflächen wurde das Tastmodell am 18. September 2023 für den Transport in die Gießerei vorbereitet. Das fühlte sich ungefähr so an, wie das eigene Kind zum ersten Mal alleine auf Klassenfahrt zu verabschieden. Unbeschreiblich die Leere, die sich hinterher in der Werkstatt ausbreitete, nachdem das Wachsmodell, 65 cm x 90 cm groß und ca. 70 cm hoch, den nächsten Bearbeitungsort erreicht hatte. Sicher eingebettet und fachgerecht verstaut in einer eigens hierfür gebauten Transportkiste aus Holz, wurde das Tastmodell durch Mitarbeiter der auf Kunsttransporte spezialisierten Firma KNAB ART HANDLING Spedition GMBH sicher in die Kunstgießerei Martin Schweitzer in Köln Ossendorf überführt. Im Januar des neuen Jahres sollte der Dom in Bronze stehen.

 

 

 

2024 – Hoffen und Bangen

 

Januar 2024

Die eingangs beschriebenen Herausforderungen des Lebens und des Tastmodelles haben den Menschen Ingo Telkmann verständlicherweise nicht unberührt gelassen. Wenn man bedenkt, was beide bis hierhin ausgehalten haben, stellten die folgenden Monate bis zur endgültigen Fertigstellung (die schließlich im September 2024 erfolgen sollte) noch einmal eine ganz eigene Art nervlicher Belastung dar.

Ende Januar 2024 – die ursprüngliche Idee seitens der Gießerei, das Wachsmodell in einem Stück in Silikon zu gießen, war unhaltbar. Telkmann sah sich daher gezwungen, das fertige Modell teilweise wieder zu zerlegen. Hierfür mussten der Vierungsturm an der Basis aus dem Dach herausgeschnitten und die gesamten Strebepfeiler abgetrennt werden. Es folgten mehrfache Fahrten zwischen Gießerei und der Werkstatt; diesmal nicht durch eine Transportfirma, sondern im eigenen PKW des Künstlers. Die Organisation dieser Fahrten mussten irgendwie in den Geschäfts- und Arbeitsalltag integriert werden. Der Mensch lebt nicht von Dom allein.

März 2024

Herstellen des Silikonmodells (durch die Firma Schweitzer) als Sicherungskopie, sowie als Basis für den späteren Bronzeguss. Mittels dieser Silikonform wurden im Verlauf die Teile des Tastmodelles, die der Silikonabformung nicht standgehalten hatten, erneut in Wachs gegossen, bzw. das Tastmodell Stück für Stück ergänzt.

 

April 2024

Der zerlegte Dom kehrte zurück in die Werkstatt. Es begann eine Phase der Überarbeitung des kompletten Wachsmodelles. Die Reparatur wurde hierbei erschwert durch die Tatsache, dass es sich jetzt nicht mehr nur ausschließlich und einheitlich um den von Telkmann benutzten, schwarzen Bildhauerwachs handelte, sondern um unterschiedliche, in der Festigkeit abweichende Gießwachse, die die ohnehin schon empfindlichen Querstreben des Chores brüchig werden ließen und insgesamt in der Bearbeitung verschiedene Anforderungen hatten. Die Krappen der Turmhelme, die Kreuzblumen, zahlreiches Maßwerk der Fenster und Portale, Giebel, Fialen, Feiler, der Dachfirstkamm, der komplette Vierungsturm, das Strebewerk – innerhalb eines Monats wurde das Tastmodell in Wachs wieder komplettiert.

Mai 2024

Am 15. Mai 2024 fand schließlich, in Anwesenheit des (an)gespannten Künstlers und im Beisein von Vertretern des Domsitzung e.V., Vertretern der Dombauhütte einschließlich Peter Füssenichs, sowie einem kleinen Team des WDR, in der Firma Schweitzer der größte Teil des Bronzegusses des Tastmodelles Kölner Dom statt.

 

Juli 2024

Nachziselieren der Bronzeteile in der Werkstatt von Ingo Telkmann. Es fanden regelmäßige Austausche der jeweils gegossenen Einzelteile von der Firma Schweitzer in die Werkstatt des Künstlers statt, um Chor, Lang- und Querhaus, die Türme und den Vierungsturm zu überarbeiten. Was im Einzelnen bedeutete, dass jedes Bauteil befühlt, betastet und bewertet werden musste, damit das fertige Bronzemodell wieder den im eingangs beschriebenen Wünschen entsprach. Nicht nur die Optik galt es dem Auge des Künstlers anzupassen, auch die durch den Bronzeguss zwangsläufig veränderte Haptik der kompletten Oberflächen musste dahin gehend überprüft werden. Eigens hierfür schaffte Telkmann spezielle Instrumente an, um z.B. Spitzes abzurunden und Scharfes weich zu polieren.

 

Ende Juli 2024, kurz vor der wohlverdienten Sommerpause der Gießerei, begab sich Telkmann einige Tage in Folge in die Firma Schweitzer, um vor Ort die mittlerweile zusammengeschweißten Bauteile noch einmal komplett nach seiner Vorstellung zu überarbeiten, einzelne Fialen zu richten, Details noch einmal herauszuarbeiten.

 

Zum Zeitpunkt der Entstehung dieses Textes befand sich die Firma Schweitzer noch in der Sommerpause, weswegen die abschließenden Arbeiten, die damit enden sollen, das Tastmodell in die Hände des Stifters Domsitzung e.V. und damit in die Dombauhütte zu überführen, noch nicht stattgefunden haben.

 

Köln, 01. September 2024